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Prozessoptimierung in der Produktion:
Das Experten-Interview

Thomas Hytzki

Die Methoden und Werkzeuge der Lean Production dienen dazu, die Produktion zu optimieren. Sie geben nicht nur Aufschluss darüber, wie erfolgreiche Prozessoptimierung in der Produktion funktioniert.

Darüber hinaus können Konzepte wie KVP oder der PDCA-Zyklus auch jenseits der Werkshalle von großem Nutzen sein, wie gerade der Bereich des Lean Management zeigt. Unser Kollege Thomas Hytzki kennt sich in Theorie und Praxis der Lean-Methodik bestens aus. Im Interview liefert er aufschlussreiche Antworten, die besonders Lean-Einsteigern in der Produktion bei der Optimierung weiterhelfen.

Lean Production einfach erklärt

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Faszination und Herausforderung: Lean Production optimiert die Produktion

Wie sind Sie persönlich mit Lean Production das erste Mal in Kontakt gekommen? Was fasziniert Sie am meisten an daran? 

Während meines Maschinenbaustudiums an der TU Dortmund hatte ich eine sehr interessante Vorlesung, die sich „Arbeits- und Produktionssysteme“ nannte. Professor Jochen Deuse hat im Rahmen dieser Vorlesung das Thema Produktionssysteme sehr lebendig und praxisnah behandelt. Als ich von ihm mehr über die Prinzipien, Methoden und Werkzeuge der Lean Production bei Toyota erfuhr, dachte ich damals nur: „Das ist es! So müsste eigentlich jedes moderne Produktionsunternehmen vorgehen.“

Am meisten fasziniert mich, dass ich immer noch täglich etwas Neues dazulerne.

Am meisten fasziniert mich wohl die Tatsache, dass ich, trotz über 15 Jahren Beschäftigung mit der Lean-Philosophie, immer noch täglich etwas Neues dazulerne und so mein Wissen immer mehr erweitere. Und das macht mir wirklich Spaß. Im Übrigen ist das ähnlich wie mit der Lean-Philosophie selbst: Dort geht es hauptsächlich darum, kontinuierlich immer besser zu werden. Insofern ticken das Grundprinzip der Lean Production und meine Persönlichkeit wohl ziemlich ähnlich.

Was ist der Status Quo im Bereich Lean Production? Was waren die bisherigen Meilensteine? Wo ist noch Luft nach oben?

Anfangs dachte man noch, dass Lean Production eine Art Werkzeugkasten ist, der aus unterschiedlichen Prinzipien, Methoden und Werkzeugen wie Kanban, SMED (die Methode des schnellen Rüstens) oder Heijunka (Nivellierung und Glättung) besteht. Mittlerweile hat sich jedoch herausgestellt, dass die Anwendung des Lean-Werkzeugkastens zwar kurzfristig mögliche Potenziale hebt, aber langfristig gesehen nicht zu einem nachhaltigen Erfolg führt. Das haben Erfahrungen verschiedener Unternehmen, Studien sowie meine eigenen Praxiserfahrungen gezeigt.

Die bloße Anwendung der Lean-Werkzeuge reicht bei weitem nicht aus.

Heute weiß man, dass die bloße Anwendung der Lean-Werkzeuge bei weitem nicht ausreicht. Man muss die Philosophie dahinter verstehen. Zahlreiche Lean-Werkzeuge sind dazu da, Probleme in der Produktion offenzulegen. Wenn man allerdings diese Probleme nicht aktiv löst, führen sie etwa zu Produktivitätseinbußen. Und das ist oft der Punkt, an dem Unternehmen, die Lean einführen, schlichtweg aufgeben. Sie sind dann mit den auftretenden Problemen überfordert oder möchten am liebsten „keine Probleme haben“.

Produktion optimieren: One-Piece-Flow genügt nicht

Welches Beispiel bietet sich hierfür an? 

Unternehmen, die sich oberflächlich mit dem Thema Lean auseinandersetzen, hören oft von der One-Piece-Flow-Methode und davon, welche Vorteile sie bringt: kurze Durchlaufzeiten, weniger Bestand und Flächeneinsparungen. Das ist auch alles richtig. Doch dadurch, dass die Transferlosgröße beim One-Piece-Flow im Gegensatz zur Losgrößenfertigung auf ein Stück gesenkt ist, wird die Prozesskette sehr fehleranfällig. Fehler in einer One-Piece-Flow-Produktion führen schließlich dazu, dass Stationen blockiert werden oder leerlaufen.

Dies führt zu Produktivitätsverlust – falls man sich nicht nachhaltig um die auftretenden Probleme kümmert. Toyota macht das übrigens vorbildlich. Mithilfe des PDCA-Zyklus, eines kurzen und schnellen, sich wiederholenden Experimentierens direkt auf der Shopfloor-Ebene, und einer hierarchieübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitern betrachten sie Fehler und Probleme als „Schätze“. Gemeinsam und vor allem zielgerichtet werden diese dann behoben.

Dafür stellt Toyota natürlich die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung. So verbessert sich Toyota seit Jahrzehnten kontinuierlich in eine von ihnen gewünschte Richtung. Und das macht das Unternehmen unter dem Strich so erfolgreich.

Was fehlt denn anderen Unternehmen, denen dies nicht gelingt? 

Weniger erfolgreiche Unternehmen führen einfach nur One-Piece-Flow ein und wundern sich bald, dass die gewünschten Vorteile ohne gelebte Problemlösung und Verbesserung ausbleiben. Ich denke, es ist bei vielen Unternehmen noch ordentlich Luft nach oben, was diese vertrauensbasierte, zielgerichtete Zusammenarbeit zur Lösung von Problemen angeht. Denn in diesem Zusammenhang geht es mehr um eine Kulturveränderung (Fehler nicht als Risiko, sondern als Chance sehen), als um die Einführung von Lean-Prinzipien, -Methoden und -Werkzeugen.

Eine solche Kulturveränderung ist eine Aufgabe, die nur langfristig und mit vollem Einsatz von menschlichen Ressourcen angegangen werden kann – insbesondere der Führungskräfte, ganz oben angefangen. Man kann sich leicht vorstellen, dass Bemühungen von Unternehmen, die Lean kurzfristig und halbherzig einführen wollen, etwa weil sie möglicherweise in einer wirtschaftlichen Krise stecken, nicht erfolgreich sein können.

Auf das Material kommt es in der Lean Production an

Welche Rolle spielt das richtige Material bei der Prozessoptimierung?

Die Lean-Philosophie und damit der Mensch stehen im Mittelpunkt. Es sollte daher für alle Unternehmen im Mittelpunkt stehen, den Menschen bei der kontinuierlichen Verbesserung seiner Arbeit optimal zu unterstützen. Damit kann er die sich ständig verändernden Kundenanforderungen möglichst flexibel und optimal erfüllen.

Wenn es um das Thema Automatisierung geht, glaube ich an die Low Cost Automation.

In dieser Hinsicht können Systeme helfen, die schnell und pragmatisch jederzeit mit wenig Aufwand angepasst werden können. Das zeichnet oftmals Lean Production Systembaukästen gegenüber anderen „aufwendigeren“ Profilsystembaukästen aus. Wenn es um das Thema Automatisierung geht, glaube ich an die Low Cost Automation beziehungsweise Karakuri/LCA. Dabei handelt es sich um intelligente, kostengünstige und flexible Systeme, die den Mitarbeiter etwa von lästigen und unproduktiven Tätigkeiten, wie dem Handling von Behältern, entlasten. Dadurch sorgen sie dafür, dass sich der Mitarbeiter auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren kann.

Industrie 4.0 und Prozessoptimierung in der Produktion

Was halten Sie von der Verschränkung von Lean Production und Industrie 4.0? Passt das gut zusammen und ist „Lean 4.0“ daher einfach folgerichtig?

Industrie 4.0 assoziiere ich sehr stark mit der Automatisierung von Prozessen. Wie sonst sollen Ansätze wie Cloud Computing, das Internet der Dinge oder der Einsatz von Sensorik und Robotik richtig zur Geltung kommen? Und wenn ich an Automatisierung denke, dann erkenne ich persönlich zumindest einen gewissen Widerspruch bei der zukünftigen Rolle des arbeitenden Menschen in der Produktion. Laut Industrie-4.0-Ansätzen soll der Mensch zum Dirigenten der Wertschöpfungskette werden, er nimmt also keinen aktiven Part im Orchester mehr ein.

Ich bin jedoch der Meinung, dass gerade der aktive Part eines Mitarbeiters, wenn er beispielsweise an einem manuellen Arbeitsplatz flexibel Bauteile montiert und seinen Arbeitsplatz und dessen Umgebung aktiv kontinuierlich verbessert, der Schlüssel zu einem Produktionssystem ist, wie es den zukünftigen Anforderungen gerecht wird.

Der Mensch verfügt schließlich über Fähigkeiten, die Maschinen nicht einfach nachahmen können, oder? 

Der wichtigste Aspekt ist die Fähigkeit des Menschen, über Prozesse nachzudenken und diese kontinuierlich zu verbessern. Das kann eine Maschine zumindest heute noch nicht.

Genau. Es ist mittlerweile bekannt, dass die Märkte hin zu immer kleineren Losgrößen, einer hohen Varianz und kurzen Lieferzeiten tendieren. Und genau da – glaube ich – kann die Flexibilität eines manuellen Arbeitsplatzes momentan zumindest noch nicht sinnvoll von einer automatisierten Lösung übertroffen werden. Zumal davon auszugehen ist, dass Automatisierung tendenziell auch einfach deutlich mehr kostet als ein manueller Arbeitsplatz. Der wichtigste Aspekt ist aber die Fähigkeit des Menschen, über Prozesse nachzudenken und diese kontinuierlich zu verbessern. Das kann eine Maschine zumindest heute noch nicht.

Jetzt entsteht vielleicht der Eindruck, ich sei kein Freund der Automatisierung. Im Gegenteil: Überall dort, wo man dem Menschen bei seiner hochflexiblen Arbeit unter die Arme greifen kann, wo man ihn entlastet und er sich mehr auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren kann, da macht Automatisierung Sinn. Aber sie sollte nach Möglichkeit intelligent, kostengünstig und vor allem flexibel sein.

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